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Geschichte der Zelle: Erhaltung oder Verfall

Nachdem Klingebiel im Jahr 1963 auf eine Langzeitstation verlegt worden war, wurde die Zelle teilweise noch belegt. Anfangs soll ein Mitpatient dort eingezogen sein. Man achtete wohl in der Folge darauf, die Zelle nur mit Patienten zu belegen, bei denen keine Sorge bestand, dass die Malerei beschädigt würde.

Das Gebäude wurde 1978 nach schweren Zwischenfällen mit Geiselnahme im Gebäude geräumt und in der Folge über Monate saniert und sicherungstechnisch aufgerüstet.

Die Belegung wurde auf 30 Planbetten reduziert. Die Zellen erhielten Wasser und Toiletteneinbauten. Dadurch wurden in Zelle 117 Bildpartien zerstört. Die Sanitäreinbauten wurden in den 1980er Jahren nachgerüstet.

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Ausschnitt_Wehse_alte_Sanitäreinbauten.j
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Sanitärecke_mit_Einhausung_2013__Foto_Ca

Über dem Sanitärbereich wurde zum Schutz der Malerei vor Spritzwasser eine Platte aus Acrylglas montiert. Diese ist nicht demontiert. Darüber hinaus überzog man die Wände in der gut gemeinten Absicht, die Malerei zu konservieren, mit einem Klarlack. Dieser stellt konservatorisch mittlerweilse ein gravierendes Problem dar.

Mit Unterstützung der zuständigen Bauverwaltung setzten die Verantwortlichen des Landeskrankenhauses durch, die Ausmalung der Zelle zu erhalten und nicht etwa durch eine "Sanierung" zu zerstören.

 

Die schwere Zellentür mit ihrem Sichtfenster von 10 x 10 cm und das Fenster blieben erhalten.

Zustand nach Einbau von Sanitärelementen. Fotos: R. Wehse / Projektarchiv

Zur Beachtung und zum Erhalt trugen immer wieder fotografische Notizen bei. Die Aufnahmen von von Hemmo Müller-Suur (erste Hälfte der 1950er Jahre), von Bediensteten des Landeskrankenhauses (vor 1984) und Rainer Wehse (um 1984) erlauben Rückschlüsse auf die Entwicklung und die spätere Nutzung des Raumes. 

 

1990 ließ Manfred Koller mit dem damaligen Ärztlichen Direktor Prof. Dr. G. Heinz eine Fotodokumentation aller Wände erstellen. Daraus konnte mit Messebauelementen bei Firma Scheiter in Gleichen eine erste begehbare fotografische Replik erstellt wurden. Sie war von 2002 bis 2005 im Landeskrankenhaus zu sehen und konnte 2010 bei der Ausstellung "Elementarkräfte" erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Auch als Reaktion auf die dadurch erzielte öffentliche Resonanz wurde die Zelle im Jahr 2012 (als Teil der baulichen Anlage) nach § 3 Abs. 2 des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes als Kulturdenkmal anerkannt, also unter Schutz gestellt (Rüsch und Klein, 2014). Es erfolgten bauphysikalische und Materialuntersuchungen.

 

Das Fenster wurde nach 2013 von außen verkleidet, um Einstrahlung und Witterung abzuhalten. Durch die vollständige Verdunkelung ist der Charakter der Zelle einschneidend verändert. Das Kunstwerk ist ohne den natürlichen Lichteinfall, ohne Witterung, Tages- und Jahreszeiten nicht erfahrbar.

Längst zeigt die Malerei Schäden, vor allem an der Fensterwand, wo die Farbe seit Jahren stark abblättert. Die Zelle ist vom Verfall bedroht. Sie ist im Bestand ungesichert und zudem noch nie restauriert worden.

Nach Räumung des Gebäudes im Jahr 2016 liegt die Zuständigkeit beim Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften, in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der Denkmalpflege.

Um 2018 entschied die Landesregierung unseres Wissens, die Zelle an Ort und Stelle zu belassen und das Gebäude einer Nachnutzung zuzuführen. Der Erhalt und eine spätere Öffnung der Zelle für Besichtigungen wurden als politisches Ziel wiederholt bekundet.

Stand der Dinge im Jahr 2022 ist weiterhin: Das Gebäude steht leer und ist auf längere Zeit nicht zugänglich.

Im Zusammenhang mit Forderungen einer lokalen Iniative für Wohnraum erschien am 30.3.2022 ein Bericht des Göttinger Tageblattes. Die Initative hatte sich öffentlich auch gegen den Leerstand des "Festen Hauses" gewandt.

 

Dem Bericht nach hat das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kultur Entscheidungen zur künftigen Nutzung des Gebäudes gefällt: Die Landesmuseen Braunschweig und Hannover sollen hier Lagerräume erhalten. Dadurch werde auch der denkmalgerechte Umgang mit der Klingebiel-Zelle sichergestellt. Diese solle zunächst fachgerecht restauriert werden. Die Öffentlichkeit solle ab 2024 bei Führungen Zugang erhalten. Mit dieser dauerhaften Lösung als Teil der Niedersächsischen Landesmuseen komme das Land seiner besonderen Erhaltungspflicht dieses wichtigen Zeugnisses und Kulturdenkmals nach, so zitiert der Bericht die Sprecherin des Ministeriums. In einem Bericht des Göttinger Tageblattes vom 30.12.2022 heißt es darüber hinaus, dass eine umfassende Restaurierung aus denkmalpflegerischen Gründen nicht erfolgt, vielmehr eine Konservierung des derzeitigen Zustandes. Baumaßnahmen im Kostenumfang von rund 400.000 € sollen u.a. für Klimatechnik und für einen separaten Zugang eingesetzt werden, damit erste Führungen im Herbst 2024 möglich werden. Ein Schwerpunkt der Vermittlungsarbeit solle die Psychiatriegeschichte sein.

Aus der Sicht des Klingebiel-Projektes und seiner Initiatoren ist damit eine Perspektive für die Konservierung und eine Hoffnung auf eine Restaurierung des Raumkunstwerkes gegeben, in deren Folge Klingebiels Kunst endlich öffentlich wahrgenommen werden kann. Seitens des Projektes werden alle denkmalpflegerischen und kuratorischen Schritte auch künftig gern unterstützt werden, um die Wahrnehmung der Klingebiel-Zelle im kunst- und psychiatriehistorischen Kontext zu vermitteln.

Im Ordner Projekt erfahren Sie mehr über unsere Fotodokumentation und deren Umsetzung als begehbare fotografische Replik im Jahr 2013.

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